Wie roch ein Klassenzimmer im Jahr 1818? – Tagung zur Geschichte der Volksschule in Rumänien

Wie roch ein Klassenzimmer im Jahr 1818? Nach feuchter Erde, Rauch vom Herdfeuer – und manchmal nach den Tieren, die im Nebenraum überwinterten. Ein internationales Forschungsprojekt, an dem unsere Hochschule maßgeblich beteiligt ist, rekonstruiert aktuell diese fast vergessene Schulwelt der evangelischen Volksschulen im siebenbürgisch-sächsischen Raum des frühen 19. Jahrhunderts. Eine Tagung am 18. Und 19.10.2025 in Sibiu/Hermannstadt in Rumänien präsentierte nun einer interessierten Öffentlichkeit erste Ergebnisse der Forschungsarbeit.
Grundlage des Projekts ist ein außergewöhnlicher Quellenbestand: Ein detaillierter Fragebogen, den Bischof Daniel Georg Neugeboren 1818 an sämtliche Schulen verschickte, und ältere Schulvisitationen aus den 1760er Jahren. 206 Rückmeldungen, ergänzt durch jahrzehntelange Verwaltungsberichte, ergeben ein umfangreiches Konvolut – ein Schatz an Alltagsbeobachtungen, Konflikten und pädagogischen Routinen. Das internationale Team aus Karlsruhe, Sibiu/Hermannstadt, der Sektion Pädagogik und Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde sowie weiteren Partnern wertet diesen Bestand systematisch aus. Hierfür wurden auch in der Historischen Bildungsforschung neuerdings stark diskutierte KI-Tools verwendet, die einen strukturierten Umgang mit der großen Datenmenge ermöglichen.
Die Ergebnisse lassen ein überraschend plastisches Bild entstehen: Die Schulen waren oft einfache Hütten mit Strohdach, Lehmboden oder selten Holzdielen, in denen Kinder dicht gedrängt zwischen Schreibtisch und Herd lernten. Viele Lehrer lebten direkt im Schulraum und mussten gleichzeitig unterrichten, musizieren, Schreibarbeiten erledigen und Verwaltungsaufgaben für die Gemeinde übernehmen. In dieser prekären Lage waren sie oft sozial marginalisiert und auf die Mithilfe der Dorfgemeinschaft angewiesen – während ihre Schüler und Schülerinnne zwischen Feldarbeit, Hauspflichten und Unterricht hin- und hergerissen waren. Anhand von mehreren Beispielen wurden die allgemeinen Beobachtungen weiter ausdifferenziert. Martin Bottesch untersucht die Entwicklung der Schulstrukturen, Erwin Jikeli Schulordnungen und Lehrinhalte, Ulrich Wien ordnet kirchliche und bildungspolitische Kontexte ein, Sebastian Engelmann beleuchtet Arbeitsrealität und soziale Spannungen der Lehrkräfte, und Robert Pfitzner analysiert die Disziplinpraxis, vom Rutenstock bis zu frühen Alternativen körperlicher Züchtigung. Friedrich Philippi – der die wohl größte Sammlung an deutschsprachigen Schulbüchern in Siebenbürgen verwaltet und mit großer Kenntnis präsentiert – setzte sich mit den verwendeten Schulbüchern in den Schulen auseianander.
So entsteht ein vielschichtiges Bild einer Schullandschaft, die zwischen Modernisierungsanspruch, Armut und lokaler Tradition schwankte. Das Forschungsprojekt mit Beteiligung der PHKA macht sichtbar, wie unterschiedlich die Lernbedingungen waren – und wie sehr viele Fragen, die Schulen damals bewegten, bis heute nachhallen.
Über die Tagung wurde unter anderem berichtet in:
Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien: https://adz.news/artikel/artikel/der-schulmeister-muss-in-erster-linie-gut-singen-koennen
Siebenbürger Zeitung: https://www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/kultur/26542-aksl_symposium-in-hermannstadt.html

